1. Juni 2023

Die Zukunft der kontinuierlichen, ambulanten Langzeitüberwachung der elektrischen Hirnaktivität

Epilepsie und Schlafstörungen erfordern eine effektive Überwachung der Gehirnaktivität. Das CSEM und das Inselspital, Universitätsspital Bern arbeiten nun zusammen an einer Lösung, die eine zuverlässige, langfristige und kontinuierliche Überwachung der Hirnaktivität während des Tages und insbesondere in der Nacht ermöglicht, und zwar ganz bequem zu Hause.

Male patient wearing a headband with a monitoring device during his sleep
© CSEM - Das vom CSEM entwickelte ULTEEM-Aufzeichnungssystem für die Nacht ist in ein Stirnband integriert, das von den Betroffenen während des Schlafs getragen wird.

Epilepsie, eine neurologische Erkrankung, an der weltweit etwa 50 Millionen Menschen (das entspricht 1 % der Weltbevölkerung) und in Europa etwa 6 Millionen Menschen leiden. Die Ursachen reichen von neurovaskulären Pathologien, Genetik und Kopftraumata bis hin zu viralen Infektionen oder Komplikationen während der pränatalen Entwicklung. Die meisten Epilepsiepatienten sind über fünfzig Jahre alt - und erkranken auch erst nach dem fünfzigsten Lebensjahr an Epilepsie, was als „spät(er) einsetzende Epilepsie“ bezeichnet wird. Ein grosses Problem ist, dass Patienten mit spät einsetzender Epilepsie auch ein deutlich erhöhtes Demenzrisiko haben. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass spät einsetzende Epilepsie und Schlafstörungen Risikofaktoren für eine Neurodegeneration, auf die man einwirken kann.

Ein Merkmal der Epilepsie sind wiederkehrende spontane Anfälle, die schwer vorherzusagen und oft auch schwer zu kontrollieren sind. Die genaue Überwachung der Hirnaktivität während der Anfälle spielt eine entscheidende Rolle bei der Diagnose und der wirksamen Behandlung der Epilepsie und sie ermöglicht individuelle Behandlungspläne für jeden einzelnen Patienten. In der Regel erfordert die Behandlung von Epilepsiepatienten viele Krankenhaus- und Arztbesuche. Für diagnostische Untersuchungen werden oft spezielle und teure Geräte benötigt, wie z.B. Elektroenzephalogramm (EEG)-Geräte, die nur im klinischen Bereich verfügbar sind. Bei diesem in der Regel nicht-invasiven Verfahren werden Elektroden auf der Kopfhaut angebracht, um die elektrischen Signale des Gehirns zu erfassen und aufzuzeichnen. Für längere Überwachungszeiträume (rund um die Uhr, auch im Schlaf) werden tragbare Systeme verwendet, um die elektrische Hirnaktivität kontinuierlich zu verfolgen und so die Daten während des Anfalls möglichst umfassend erfassen zu können. «Aufgrund der Stigmatisierung, die Menschen mit Epilepsie immer noch erleben, besteht ein dringender Bedarf an unauffälligen Lösungen, die eine Langzeitüberwachung neurologischer Störungen im realen Leben ermöglichen», erklärt Prof. Kaspar Schindler, Direktor des Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrums und von NeuroTec an der Klinik für Neurologie des Inselspital, Universitätsspitals Bern.

 

Medizinische Einschränkungen zusätzlich zu individuellen Beschwerden

Trotz bedeutender Fortschritte unterliegt die EEG-Überwachung immer noch erheblichen medizinischen Einschränkungen. Eine dieser Einschränkungen besteht darin, dass sowohl das EEG am Tag als auch die Schlafstudien unter künstlichen Bedingungen durchgeführt werden, wodurch klinisch bedeutsame Befunde möglicherweise maskiert oder verstärkt werden können. Darüber hinaus können Faktoren wie Bewegung oder Muskelaktivität die EEG-Messungen beeinflussen, was zu falschen Ergebnissen oder zur Nichterkennung von Anfällen führen kann. Genaue Messungen der Krankheitsdynamik erfordern oft eine wiederholte Überwachung, aber Faktoren wie begrenzte finanzielle Mittel, logistische Probleme und geografische Entfernungen können regelmässige Besuche bei den Fachärzten verhindern. Darüber hinaus können die derzeit für die Überwachung verwendeten tragbaren Systeme aufgrund der Gel-Elektroden Unbehagen oder Hautreizungen verursachen. Sie müssen auch häufig aufgeladen werden und sind für Patienten, insbesondere für solche mit kognitiven Einschränkungen, schwer zu handhaben.

  

Patientenkomfort als vorrangiges Entwicklungsziel

Im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprogramms haben das CSEM und die Abteilung für Neurologie des Inselspitals, Universitätsspitals Bern die ULTEEM-Lösung (Ultra-Long-Term EEG Monitoring) für diesen bisher vernachlässigten medizinischen Bedarf entwickelt. Ihr Ziel war es, eine weniger beeinträchtigende Technologie zu entwickeln, die auf den patentierten aktiven Trockenelektroden des CSEM basiert. Für die anfängliche Tagesanwendung der ULTEEM-Lösung hat das interdisziplinäre Team die Trockenelektroden von CSEM in eine neue Vorrichtung integriert, die aus zwei Sensoren besteht, die an jedes Metall-Brillengestell angeklippt werden können. Die Sensoren werden über ein einziges Kabel verbunden, das nicht einmal besonders abgeschirmt oder isoliert sein muss (Cooperative Sensors). Trotz der einfachen Verbindungstechnik über den metallischen Brillenrahmen, der als Einzedraht dient, bleibt die Signalqualität konstant stark.

Medical device for sleep monitoring© CSEM -

Das von CSEM entwickelte ULTEEMNite Monitoring System wiegt gerade mal 17 Gramm.

Die zweite Anwendung der ULTEEM-Lösung wurde speziell für die Nutzung in der Nacht entwickelt, sowohl für die Schlafüberwachung als auch für die Rund-um-die Uhr-Epilepsieüberwachung. Das System wiegt nur 17 Gramm (eine 5-Franken-Münze wiegt 13,2 Gramm) und ist in ein bequemes Stirnband integriert, das die Patienten während des Schlafs tragen. Die Lösung entspricht den geltenden Normen für Medizinprodukte (IEC 60601-1 und IEC 80601-2-26) und nutzt die von CSEM entwickelten Trockenelektroden zur Messung der elektrischen Hirnaktivität zwischen den Schläfen. «Ein gutes Gleichgewicht zwischen Patientenkomfort und Zuverlässigkeit der Messungen zu finden, ist entscheidend für eine langfristige Überwachung zu Hause. Unsere Technologie vereinfacht die Integration von klinischen Gerätschaften in alltägliche Materialien wie Textilien oder Brillengestelle, ohne dass die Signalqualität beeinträchtigt wird», erklärt Gürkan Yilmaz, Projektleiter bei CSEM. Die Sensoren der ULTEEM-Lösung werden von einer wiederaufladbaren Batterie gespeist und kommunizieren mit Mobilgeräten über das Bluetooth™ Low Energy Protokoll. Dies ermöglicht eine Echtzeit-Anzeige der erfassten Daten und das spätere Herunterladen der Daten.

 

Das ULTEEM-System für den Tag wurde mit 10 gesunden Freiwilligen getestet, während das ULTEEM-System für die Nacht mit 10 Patienten im Rahmen einer Schlafstudie am Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrum der Klinik für Neurologie des Inselspitals, Universitätspitals Bern getestet wurde. Die klinischen Ergebnisse zeigten eine stabile und präzise Datenaufzeichnung über einen Zeitraum von 12 Stunden, wobei die Teilnehmer das Gerät als angenehm zu tragen empfanden. Die Spektrogrammanalyse zeigte deutliche Schlafspindeln und eine langsame Gehirnwellenaktivität, ohne jegliche Störung durch die Netzfrequenz (50 Hz), so dass ein Frequenzfilter nicht erforderlich war.

Pläne für die weitere Zusammenarbeit 

Die Partner bereiten nun eine erweiterte klinische Studie mit einer verbesserten Version des ULTEEM-Systems für die Nacht vor, um die Benutzerfreundlichkeit weiter zu verbessern. Zusätzlich wird das System wird auch in ein sicheres Cloud-Ökosystem integriert. Durch die Analyse der gesammelten Daten und in engem Dialog mit dem Team von Prof. Kaspar Schindler vom Inselspital, Universitätsspital Bern verfeinern die Forschungspartner weiterhin die Algorithmen für die Einteilung der Schlafstadien, einschliesslich der Erkennung von Schlafspindeln und auch epilepsietypischen Signalen. «Dank dieser erfolgreichen multidisziplinären Zusammenarbeit bringt der Einsatz der jüngsten technologischen Fortschritte im Bereich der tragbaren biomedizinischen Geräte Klinikärzten erhebliche Verbesserungen bei der Behandlung von Krankheiten wie Epilepsie und Schlafstörungen, die neurodegenerative Erkrankungen in einer immer älter werdenden Gesellschaft begünstigen können», erklärt Jens Krauss, Leiter der Abteilung für Systeme des CSEM.

 

Erfahren Sie mehr darüber, wie CSEM und Inselspital, Universitätsspital Bern die kontinuierliche Überwachung von Schwangerschaft und Geburt durch den Einsatz von tragbaren, intelligenten Trockenelektroden und künstlicher Intelligenz (KI) vereinfachen.