Überwachung der hirnaktivität hilft das post-operative Delirium zu reduzieren
Wenn ältere Patientinnen und Patienten eine Narkose erhalten, senden ihre Gehirne elektrische Signale aus, die mittels Elektroenzephalografie (EEG) gemessen werden können. Durch die Überwachung dieser Signale und eine darauf abgestimmte Dosierung von Anästhetika könnte das Risiko eines post-operativen Deliriums (POD) gesenkt und intra-operative Wachheit verhindert werden. Das vom Bern MedTech Collaboration Call (BMCC) unterstützte Projekt QUESTIONED untersucht diese Methode, um die Anästhesieversorgung und Patientenergebnisse nachhaltig zu verbessern.

Die wachsende Herausforderung des POD angehen
Wie in vielen entwickelten Ländern altert auch die Bevölkerung der Schweiz, was das Gesundheitssystem zunehmend belastet. Die Nachfrage nach chirurgischen Operationen, insbesondere bei älteren Menschen, nimmt stetig zu. Diese Bevölkerungsgruppe ist besonders anfällig für das post-operative Delirium (POD) – eine Komplikation die schwerwiegende Langzeitfolgen haben kann.
POD gefährdet nicht nur die Gesundheit der Patientinnen und Patienten, sondern belastet auch die Wirtschaft erheblich. In den USA verursacht POD bei Medicare-berechtigten Personen, die sich grösseren chirurgischen Eingriffen unterziehen, schätzungsweise 32,9 Milliarden US-Dollar jährlich an zusätzlichen Gesundheitskosten. Diese Zahl wird sich voraussichtlich deutlich erhöhen, wenn man die gesamte Bevölkerung mit einbezieht.
Burst-Suppression ist ein Muster, das in EEG-Aufzeichnungen beobachtet wird und abwechselnde Phasen hoher Gehirnaktivität (Bursts) und geringer Aktivität oder Flachlinienaktivität (Suppression) zeigt. Dieses Muster tritt häufig bei Patienten unter tiefer Anästhesie auf und kann auf eine übermässige Sedierung hinweisen.
Was ist ein postoperatives Delirium?
Das post-operative Delirium äussert sich durch plötzliche, schwankende kognitive Störungen nach einer Operation. Klinisch ist das POD mit erhöhter Morbidität und Mortalität, längeren Krankenhausaufenthalten und höheren Behandlungskosten verbunden. Weitere Komplikationen wie intra-operative Wachheit und Hypotonie stellen zusätzliche Herausforderungen für die Versorgung dar. Forschende haben „Burst Suppression“ als potenziellen Indikator für ein POD identifiziert. Dabei handelt es sich um Phasen mit abwechselnd hoher und niedriger Hirnaktivität, die sich mittels EEG während einer Narkose nachweisen lassen. Eine genaue Überwachung des EEGs erweist sich als unverzichtbares Hilfsmittel, um diese Risiken zu minimieren.
Fortschritte in der EEG-Überwachung
Das 2024 gestartete Projekt QUESTIONED stellt einen bedeutenden Fortschritt in der EEG-Technologie dar. Das Projekt wird von Dr. Darren Hight, Anästhesist am Inselspital, Universitätsspital Bern, und Prof. Heiko Kaiser, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin an der Hirslanden Klinik Aarau sowie Professor für Anästhesiologie an der Universität Bern durchgeführt. Unterstützt wird das Projekt durch die technologische Expertise von CSEM.
ULTEEMNite: federleichte tragbare EEG-Überwachung
Das Projekt basiert auf einem von CSEM in Zusammenarbeit mit dem Inselspital, Universitätsspital Bern, entwickelten System ULTEEMNite. Dieses federleichte, tragbare Gerät erfasst Frontal-EEG-Signale dank modernster Trockenelektroden-Technologie. ULTEEMNite wurde ursprünglich für die Überwachung des Schlafs konzipiert und inzwischen für die intra-operative EEG-Überwachung weiterentwickelt.
„ULTEEMNite ist aufgrund seiner hohen Empfindlichkeit und Wiederverwendbarkeit eine kostengünstige Alternative zu herkömmlichen EEG-Geräten“, erklärt Gürkan Yilmaz, Senior Expert MedTech bei CSEM. „Mit einem Gewicht von weniger als 20 Gramm lässt es sich während der Anästhesie leicht am Patienten positionieren. Unsere proprietären Trockenelektroden messen die Hirnaktivität des Patienten während des Eingriffs, so dass keine teuren Einweg-Elektroden notwendig sind.“
Das wiederaufladbare Gerät überträgt die Signale über das energiesparende Bluetooth™ Low Energy-Protokoll an ein mobiles Endgerät. „Die EEG-Signale werden über eine benutzerfreundliche Oberfläche dargestellt und mittels eines speziell entwickelten Algorithmus in Echtzeit ausgewertet, sodass Anästhesistinnen und Anästhesisten subtile neurologische Veränderungen in Echtzeit erkennen können“, so Yilmaz.
Praktische Vorteile gegenüber herkömmlichen Systemen
„In der Schweiz wird die EEG-Überwachung während Operationen bislang noch wenig genutzt“, ergänzt Dr. Hight. „Herkömmliche Tiefschlafmonitore, wie das Bispectral Index-System, werten EEG-Daten aus und stellen diese in Form eines Zahlenwertes zur Beurteilung der Narkosetiefe dar. Zudem sind diese Systeme häufig auf Einweg-Elektroden angewiesen, was die Betriebskosten erhöht.“
„Diese Systeme weisen jedoch klinische Einschränkungen auf. Studien zeigen, dass die berechneten EEG-Indizes, insbesondere bei älteren Patientinnen und Patienten, das Anästhesieniveau falsch einschätzen können, was zu Fehlern bei der Medikamentvenversorgung führt. Aus diesem Grund werden sie meist nur bei Hochrisikoeingriffen eingesetzt. Unser Ansatz senkt Kosten und Komplexität und könnte EEG-gestützte Überwachung in einer breiteren chirurgischen Anwendung etablieren“, erklärt Hight weiter.
Eine genauere Dosierung kann dazu beitragen, Medikamente einzusparen, Komplikationen zu minimieren, Krankenhausaufenthalte zu verkürzen und Ressourcen effizienter zu nutzen. Durch den wiederverwendbaren Aufbau bietet ULTEEMNite zudem einen ökologischen Vorteil, da weniger Einweg-Elektrodenabfall entsteht.
Eine Person trägt das komfortable EEG-Überwachungsgerät ULTEEMNite von CSEM.
Nahaufnahme der Zentraleinheit und der Sensoren von ULTEEMNite mit aktiven Trockenelektroden.
Schulung von Fachkräften als Schlüssel zum Erfolg
„Ein zentraler Bestandteil des Projekts ist auch die gezielte Aus- und Weiterbildung“, erläutert Prof. Kaiser. „Das korrekte Interpretieren von Roh-EEG-Daten erfordert spezielle Kenntnisse. Wir wollen Anästhesistinnen und Anästhesisten befähigen, EEG-Muster, einschliesslich jener, die auf ein POD hindeuten, sicher zu erkennen.“ Dieses gezielte Bildungsangebot soll die Integration von ULTEEMNite und der EEG-Analyse in die tägliche klinische Praxis fördern und die breite Anwendung unterstützen.
Von der Forschung zur Anwendung
Der Erfolg des Projekts QUESTIONED beruht auf einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit. Es unterstützt die gesundheitspolitischen Ziele in Kanton Bern und der Schweiz und stärkt den Platz Bern als führender MedTech-Innovations-Hub. Öffentliche und private Gesundheitseinrichtungen zeigen bereits grosses Interesse, die Technologie in präklinische Studien zu überführen.
„Wir möchten unser vom BMCC gefördertes Projekt zu einem skalierbaren Start-up weiterentwickeln und durch öffentliche Fördermittel, etwa von Innosuisse, die Kommerzialisierung vorantreiben“, so Dr. Hight. „Unser Ziel ist es, ein nachhaltiges Unternehmen aufzubauen, Arbeitsplätze im Kanton Bern zu schaffen und diese Technologie auf den Markt zu bringen.“
Zukunftsperspektiven
Mit der zunehmenden Alterung der Schweizer Bevölkerung wird der Bedarf an innovativen Lösungen wie jener des Projekts QUESTIONED steigen. Die Reduzierung von POD und intra-operativer Wachheit, die Verbesserung der Rehabilitation und die Entlastung des Gesundheitssystems sind zentrale Ziele.
„Durch weitere Validierung und breiter Anwendung könnte unser Ansatz zu sicherern und wirtschaftlicheren Anästhesieverfahren für besonders verwundbare Patientengruppen beitragen“, schliessen Dr. Hight und Prof. Kaiser.