4. April 2023

Mit medizinischem Kissen aus dem 3D-Drucker das Leben von Menschen im Rollstuhl erleichtern

Zusammen mit der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) in Nottwil entwickelt CSEM ein personalisiertesRollstuhl-Sitzkissen aus dem 3D-Drucker. Die Vorteile gegenüber herkömmlichen Orthotechnikkissen sind bestechend: das neue Sitzkissen ist atmungsaktiv, waschbar, digital modellierbar. Der neue Ansatz ist insbesondere auch spannend und vielversprechend für die Dekubitus-Prävention.

Engineer showing a specific technology to a person in a wheelchair

Die meisten Leute steigen Treppen hoch und runter, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Ebenso mühelos betritt ein Grossteil von uns Züge und Busse oder setzt sich ohne viel Aufhebens hinters Steuer eines Autos. Für alle diejenigen Menschen hingegen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, stellen solche Alltäglichkeiten teilweise enorme Hürden dar. «Und es sind nicht nur die offensichtlichen Barrieren, mit denen diese Personen tagtäglich konfrontiert werden», erklärt Christoph Joder, am CSEM verantwortlich für die Kundenbeziehung mit der SPS. Denn Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer müssen sich unter anderem auch mit dem sogenannten «Dekubitus», auch als Wundliegen oder Wundsitzen bekannt, auseinandersetzen. Durch ständigen Druck auf bestimmte Hautflächen entstehen chronische Entzündungen, die schwer zu behandeln sind und für die Betroffenen äussert schmerzhaft sein können. Auch sind die damit verbundenen Heilungskosten sehr hoch. 

 

Grosses Potenzial der Sitzkissen aus dem 3D-Drucker 

Mit dem Thema Dekubitusprävention in Kontakt kam Christoph Joder im Rahmen eines gemeinsamen Projekts zwischen dem CSEM und der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) in Nottwil. Im Kern dieser Zusammenarbeit steht das sogenannte «offenzellige» 3D-Druckverfahren. Christoph Joder erzählt: «Mit unseren Druckern sind wir in der Lage, Objekte herzustellen, die eine offenzellige Struktur aufweisen.» Dank dieser besonderen Beschaffenheit verfügen die gedruckten Strukturen unter anderem über eine enorme Dämpfungswirkung und sind gleichzeitig sehr flexibel. Ursprünglich entwickelte das CSEM dieses Verfahren für ein Projekt mit dem Paul-Scherrer-Institut. «Doch als wir im Rahmen einer Lunch-Präsentation die Vorteile der offenzelligen Struktur vor Mitarbeitenden der Schweizer Paraplegiker-Stiftung präsentierten, wurden wir von einer Teilnehmerin angesprochen», erinnert sich Joder. Diese Teilnehmende und wissenschaftliche Mitarbeiterin der SPS ist selbst auf einen Rollstuhl angewiesen und erkannte das Potenzial der 3D-Drucktechnologie sofort. Sie stellte dem anwesenden CSEM-Team die Frage, ob man mit dem 3D-Drucker auch offenzellige Sitzkissen herstellen könne. 

Engineer showing a specific technology to a person in a wheelchair

Atmungsaktiv, waschbar und individuell digitalisierbar 

Die Anfertigung individueller Stütz- und Sitzkissen hilft unter anderem, um bei Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern Dekubitus vorzubeugen. Bis jetzt müssen diese leider oft äusserst aufwendig, manuell und als Einzelstücke hergestellt werden. Dies ist zeitintensiv und teuer. Zudem lassen sie sich praktisch nicht waschen, was relativ schnell zu unhygienischen Situationen führt. «In enger Zusammenarbeit mit Andreas Gautschi, Projektleiter bei der Schweizer Paraplegiker-Stiftung und ebenfalls im Rollstuhl, machten wir uns daher daran, zu erproben, ob und wie man ein solches Kissen mit einer offenzelligen Struktur nachdrucken konnte», führt Christoph Joder aus. Zu diesem Zweck wurde ein bereits existierendes, individuelles Kissen digitalisiert, am Bildschirm modelliert und nachgedruckt. 

 

Die Ergebnisse überzeugen: Das gedruckte Kissen erlaubt dank seiner durchgängigeren Beschaffenheit einen viel besseren Feuchtigkeits- und Temperaturhaushalt als die herkömmlichen Kissen. Zudem lässt sich die gedruckte Variante problemlos waschen. Und aus regulatorischer Sicht ist die Rückverfolgbarkeit der getätigten Änderungen ein enormer Mehrwert. Allerdings war der erste Prototyp noch zu schwer und auch die Druckzeit fiel zu hoch aus. Daher nahmen Christoph Joder und sein Team punktuelle Anpassungen an der Struktur vor, wodurch sich diese Probleme beheben liessen. «Wir sind nun sehr stolz darauf, was wir mit dem aktuellen Design schaffen konnten und freuen uns über das enorm positive Feedback, welches wir erhalten haben.»  

Auf der Suche nach einem Partner 

Mit der offenzelligen Kissenstruktur hat das CSEM einen wichtigen Schritt getan, um Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern diverse Verbesserungen, so auch in der Dekubitusprävention, zu bieten. Gemeinsam mit der SPS ist man nun auf der Suche nach einem Transferpartner, der das Produkt kommerzialisieren und weiter individualisieren könnte. Das ist nicht ganz einfach, denn oftmals sind die Märkte für solche spezialisierten Medizinalprodukte eher klein, weswegen sich diese Innovationen finanziell meist nicht rechnen. Gleichzeitig sind die regulatorischen Anforderungen hoch. «Aber wir sind dennoch zuversichtlich, dass wir einen Partner finden und den Betroffenen so die Technologie zugänglich machen können», ergänzt Joder überzeugt.