13. Dezember 2022

Der digitale «Super-Experte» nimmt nun Edelsteine unter die Lupe

Wer die Echtheit und den Wert eines Edelsteins bestimmen möchte, benötigt enormes Fachwissen und jahrelange Erfahrung. Das Gübelin Gemmologische Labor in Luzern hat gemeinsam mit dem CSEM die Arbeit an einer leistungsfähigen KI-Lösung finalisiert. Der digitale «Super-Experte» wird künftig Hand in Hand mit den menschlichen Experten Edelsteine analysieren.

Gems in a black box

Das Laien-Auge wird von der Farbenpracht sowie dem Glanz von Edelsteinen schnell geblendet. Auf die Fachleute des in Luzern ansässigen Gübelin Gem Labs trifft dies nicht zu – sie werfen einen weit kritischeren und versierteren Blick auf die seltenen Mineralien. Die Expertise des gemmologischen Labors gilt als weltweiter Goldstandard für die Prüfung der Identität, Authentizität und der Herkunft der hochwertigsten Farbedelsteine: Smaragd, Saphir und Rubin.

Zwecks Echtheits-Bestimmung gelangen Edelsteine aus aller Welt in eines der Labore von Gübelin nach Luzern, Hongkong oder New York. «Ein essenzieller Aspekt unserer Arbeit besteht darin, die Konsistenz unserer Resultate zu gewährleisten», erklärt Dr. Daniel Nyfeler, Managing Director des gemmologischen Labors. Das bedeutet, dass jedes Mal, wenn ein Edelstein von Gübelin-Fachleuten unter die Lupe genommen wird, die gleiche Einschätzung daraus hervorgehen muss. «Zu Abweichungen darf es allenfalls bei der Behandlung kommen, wenn in der Zwischenzeit der Stein verändert wurde», betont Nyfeler.

Gübelin & CSEM

Eine Frage der Expertise

Der hohe Anspruch an die Qualität der Analyse zeichnet Gübelin aus. Doch obschon in Luzern modernste, hochkomplexe Analytik eingesetzt wird, basierte bisher ein wesentlicher Teil der Dateninterpretation auf menschlicher Einschätzung durch erfahrene Experten. Um eine hohe Konsistenz der Resultate zu sichern, begann Gübelin bereits im Jahr 2020 damit (zur entsprechenden Meldung), gemeinsam mit dem Schweizer Forschungsinstitut CSEM, eine leistungsfähige Machine-Learning-Software zu entwickeln, welche dem Experten die Interpretation der grossen Datenmengen abnimmt. Ein Team um Philipp Schmid, Leiter der Sektion Industry 4.0 and Machine Learning beim CSEM, hat das komplexe Projekt «Gemtelligence» begleitet. Philipp darf heute verkünden: «Wir konnten das Projekt erfolgreich abschliessen und gemeinsam mit Gübelin den ersten digitalen 'Super-Experten' für Edelsteine lancieren.» Dieser übernimmt die umfassende Interpretation der analytischen Daten, um die Fachleute bei ihrer anspruchsvollen Arbeit zu unterstützen.

Wie wurde dieser Super-Experte entwickelt? «Die Grundlage jeder künstlichen Intelligenz bilden annotierte Daten», betont Schmid. Das Projektteam aus Mitarbeitenden vom CSEM und Gübelin konnte für dieses Projekt auf einen regelrechten «Datenschatz» zurückgreifen: Das Datenregister umfasste die umfassenden Analysen von Zehntausenden von Kunden-Edelsteinen, die das gemmologische Labor von Gübelin seit den 1970er Jahren analysiert. Diese wurden mit den Ergebnissen der einzigartigen Gübelin Referenzsteinsammlung angereichert, die über 28 000 Edelsteine aus allen kommerziell relevanten Minen weltweit umfasst. «Unsere Anwendung ist dadurch in der Lage die optischen Spektralanalysen zusammen mit chemischen Merkmalen in einer grossen künstlichen Intelligenz zu kombinieren», erklärt Schmid. Auf diese Weise lässt sich sowohl die Herkunft eines Edelsteins exakt bestimmen, sowie eine allfällige Hitzebehandlung. Diese beiden Faktoren haben einen starken Einfluss auf den Wert eines Steins.

Weil die im Projekt verwendete Technologie weltweit eine neue Innovation darstellt und ein weitreichendes Anwendungspotenzial aufweist, wurde «Gemtelligence» als offizielles Innosuisse-Projekt vom Bund gefördert. Vergleichbare Ansätze könnten die medizinische Diagnostik voranbringen sowie Produkte in der Industrie dank 100%-Qualitätskontrolle sicherer machen. Und auch für die Forschenden des CSEM hielt das Projekt spannende Erkenntnisse bereit: «Es zeigte klar auf, dass es nicht genügt, einfach ungefilterte Datensätze mit einer KI zu verbinden», resümiert Philipp Schmid. Erst wenn Daten mit wichtigen Zusatzinformationen versehen werden, wie Erfahrungswerte von menschlichen Experten, könne man die Ground Truth – die grundlegende Wahrheit – digital abbilden und nutzen. «Alles andere ist, und bleibt leider, vor allem Datenmüll.»